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Falter 6/13  Text: Benedikt Narodoslawsky

Ende der 1990-er Jahre in Mönichwald, einem kleinen Nest im oststeirischen Joglland: Markus Lechner wirft im Wirtshaus zum ersten mal 100 Schilling in einen Spielautomaten. Dingdingding, Früchtebonus. Aus 100 Schilling werden 1000. Der 15-jährige Schüler hat in wenigen Minuten mehr gewonnen, als er in den vergangenen vier Monaten an Taschengeld bekommen hat. Markus Lechner steckt die Geldscheine ein. Er glaubt, es sei sein Glückstag.

Ende Jänner 2013 in Wien, Markus Lechner hat Schulden. Er sagt, es seien derzeit rund 50.000 Euro. Sein halbes Leben hat er vor Automaten gesessen. Im Büro der Spielsuchthilfe erzählt er nun seine Geschichte, die zwei seiner engsten Angehörigen dem Falter später getrennt voneinander bestätigen werden. Sie soll anderen Spielern Hoffnung geben. Und sie soll den Leuten, die nichts von der psychischen Erkrankung namens Spielsucht wissen, zeigen was die aus Menschen macht – aus Menschen wie Ihm, den seine Familie noch immer einen „lieben Kerl“ nennt, obwohl er sie belogen, bestohlen und betrogen hat.

Lechner ist ein lockerer Typ. Er spricht einen gleich mit Du an, und wenn er Lacht, dann Lacht er laut. Er sagt, es gehe Ihm jetzt besser. In der Früh schluckt er noch Cipralex, 10 Miligramm, ein Antidepressivum, aber er könne jetzt wieder gut schlafen; sein Suizidversuch liegt schon drei Jahre zurück. Lechner hat nun eine Weg gefunden, mit seiner Spielsucht fertigzuwerden, „Ich nehme die Energie, die ich für das Spielen aufgebracht habe, und verwende sie jetzt gegen das Glücksspiel“, sagt er.

Lechner und die Therapien, das war bislang eine traurige Geschichte. Schon als Lehrling häufte einen Schuldenberg von rund 3000 Euro an. „Man versucht die ganze Zeit, das, was man verspielt hat wieder reinzubringen“, sagt Lechner. Ein typisches Verhalten, es führt in den Abgrund. Je mehr man verliert, desto mehr spielt man, desto mehr verliert man. Mit 17 besuchte er zum ersten Mal die Schuldnerberatung, mit 18 Jahren war er das erste mal in psychologischer Betreuung. Er hat den Absprung nicht geschafft. „Wenn irgendwo zu Hause Geld herumgelegen ist und weg war, dann hab ich es gehabt“, sagt Lechner. Er stahl es, um die Automaten zu füttern, in der Hoffnung, so seine Schulden begleichen zu können. Er scheiterte, jedes Mal. Die Vertrauensbasis in der Familie ging in die Brüche. „Du verarscht die Leute die dir helfen.“

Dabei hat Lechner immer gut verdient, auch als Lehrling. Auf einer Baustelle in Wien habe er als Techniker 15 Leute unter sich gehabt. Im letzten Job habe er „netto 3500 Euro“ im Monat gemacht. Aber er lebte wie ein Bettler. “ Als Spieler fährst du Lebenserhaltungskosten komplett runter. Du wendest alles nur fürs Spielen auf.“ Zum Essen kaufte er sich meist Nudeln und Kartoffeln, „das Billigste, das halt geht“. Er verzichtete aufs Firmenquatier und ließ sich stattdessen Wohngeld auszahlen, schlief in seinem Ford, den er nahe der Baustelle parkte. Er duschte im Sanitärcontainer der Firma, und weil er keinen Strom hatte, ging er in der Mittagspause mit seiner Jause aufs Klo, aß dort und lud währenddessen seinen Handyakku auf.

Er schuftete bis in die Nacht. Dann besuchte er die blinkenden Automaten mit den Spielen, die ihm dasGeld und die Lebensenergie aussaugten: „Book of Ra“, das Spiel mit den Pharaonen. „Lucky Lady’s Charm“ mit den Feder- und Marienkäfersymbolen. Und schließlich „American Poker“. Mitte des Monats war er blank. Als sie sein Auto abschleppten, hatte er kein Geld mehr, um es wieder auszulösen. „Ich habe dann ein Woche lang bei den Obdachlosen gepennt und mich so verkühlt, das ich im Krankenstand war.“ Der Techniker hatte eine schwere Depression. Die Spielsucht trieb ihn in die Isolation, die Freunde waren weg, „Du lebst nur noch fürs Spielen.“ Anfang Jänner 2010 versuchte er, sich in Mönichwald das Leben zu nehmen. Seine Großmutter fand ihn am Boden liegend im Keller.

Nach drei Monaten wurde aus der Landesnervenklinik, nur noch leicht depressiv, entlassen, wenig später war er wieder am Spielen. Er steckte 10 Euro in den Automaten, am nächsten Tag 20, dann 50. Am Ende war er wieder pleite. Erst seine neue Freundin brachte ihn zum Umdenken. Er ging in die Selbsthilfegruppe, hörte die vielen Geschichten der gebrochenen Menschen, begann zu recherchieren. Über die Glücksspielindustrie. Und die Verstrickungen in die Politik.

Lechner hat jetzt genug. Er will verhinern, dass andere Jugendliche sein Schicksal nachleben. Man könne auf den in kurzer Zeit zuviel Geld verspielen, das verstoße gegen das Gesetz. „In Admiral-Lokalen, die der Novomatic gehören, habe ich hauptsächlich gespielt“, sagt Lechner. So wie er sitzen heute trotz Verbots Minderjährige in den Lokalen vor den Automaten. Lechner hat es mitgefilmt, der Falter hat berichtet. Kontrollen blieben aus.

Man merkt, dass Lechner es ernst meint. Man spürt sein Feuer. „Ich will, dass es einen fairen Jugend- und Spielerschutz gibt“, sagt er selbstbewusst. Ihm selbst hätte das ein halbes Leben geschenkt.

weiteres: https://www.derstandard.at/story/1358305161419/wenn-minderjaehrige-ihr-gehalt-an-spielautomaten-verfuettern

 

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Lic. phil. Ana Maria Ivan, Presse-Agent International. Selbstständige, freie Journalistin. Eigenverlag.
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Grundlegende Richtung: Veröffentlichung von Recherchen und Dokumentationen zu diversen Themen von öffentlichem Interesse.

Referenzen:
Wikipedia: „Stinatz“ https://de.wikipedia.org/wiki/Stinatz
Wikipedia: „Franz Fuchshttps://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Fuchs_(Attent%C3%A4ter)

Wikipedia: „Roma in Österreichhttps://de.wikipedia.org/wiki/Roma_in_%C3%96sterreich

Politics in Central Europe
The Journal of the Central European Political Science Association: „Anti-Romani Terrorism in Europe“ by Miroslav Mareš https://www.degruyter.com/view/j/pce.2015.12.issue-2/pce-2016-0013/pce-2016-0013.xml

Glücksspielinfo.at: „Prof. Gerd Schmidt – Was er alles kannhttp://www.gluecksspielinfo.at/news/detail/prof-gerd-schmidt-was-er-alles-kann

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